Buchbesprechung: Psychotherapie und Neurobiologie – Neurowissenschaftliche Erkenntnisse für die psychotherapeutische Praxis, Jürgen Brunner

Jürgen Brunner, der am Max-Plank-Institut gearbeitet hat und inzwischen in eigener Praxis als Psychotherapeut niedergelassen ist, verbindet eine naturwissenschaftliche Herangehensweise an die Pathogenese von Störungsbildern mit Fürsorge und Empathie für seine Patienten.

Brunner beschreibt, wie die genetische Ausstattung frühe traumatische Umwelteinflüsse lindert oder verstärkt und wie umgekehrt traumatische Erfahrungen zu epigenetischen Veränderungen führen. Vulnerabilität und Resilienz sind eine Frage von mehr oder weniger Glück oder Pech im Leben – die genetische Ausstattung und die frühkindliche Umgebung sind vorgegeben. Aber neurobiologischer Reduktionismus liegt dem Autor fern. Er diskutiert die häufigsten Störungsbilder, Depressionen, Angststörungen und die posttraumatische Belastungsstörung und damit gekoppelte Veränderungen in den Strukturen des Emotionsnetzwerkes (die Amygdala, das mesolimbische Belohnungssystem, der Hippocampus, der präfrontale Cortex u.a.) und betont immer wieder die basale Bedeutung von Bindung und Mentalisierung für die psychische Entwicklung.

Wer sich für die Entwicklungen in der Neurobiologie interessiert, erfährt Wissenswertes über die Grundlagen von Neuroanatomie und Neurophysiologie, über neuronale Netzwerkmodelle, über das limbische System und welche methodenkritischen Einwände es gegenüber Bildgebungsverfahren zu berücksichtigen gilt.

Der Autor stellt fest, dass eine erfolgreiche Psychotherapie mit neurobiologischen Strukturveränderungen einhergeht  und zieht Schlüsse für ein psychotherapeutisches Vorgehen. Patienten mit strukturellen Defiziten brauchen, nach Grawe und Brunner, ein Gegenüber, das beeltert, fördert und antwortet. Oder nach Alexander, eine korrigierende emotionale Beziehungserfahrung, die der Wiederholung und Konsolidierung bedarf, um eine Bahnung zu erreichen. Zentral ist eine Ressourcen orientierte Haltung des Therapeuten, die parallel mit einer Problemaktualisierung einhergeht. Zum Vergleich: In der IS-TDP spricht Davanloo bei der Head-on-Collison von einer Balance beim Schwingen zwischen Widerstand und Ressourcen. Nach Brunner ist es ein zentrales Prinzip, dass eine Problemaktualisierung immer mit einer Bewältigungs- und Klärungserfahrung verbunden sein muss – was in der IS-TDP seine Entsprechung findet im Erleben und im Standhalten von intensiven archaischen Gefühlen beim Durchbruch ins Unbewusste und in der klärenden Analyse.

Neue neuronale Verbindungen werden durch solch korrigierende emotionale Erfahrungen gebaut. Aktivierung und Bahnung sind zentrale neurobiologische Prinzipien jeglicher therapeutischer Veränderungen. Eine wirksame Psychotherapie führt zu einer Erweiterung und Flexibilisierung des Repertoires und zu erweiterten Handlungsmöglichkeiten. Davanloo spricht an dieser Stelle von neu erworbener Fluidität des Unbewussten und von multidimensionalen unbewussten Strukturveränderungen.

Wichtig sind, ebenfalls bereits zum Therapiebeginn, die motivationale Klärung und die Herausarbeitung des Therapieziels – in der IS-TDP wird dementsprechend das Problem, der freie Wille und die Aufgabe geklärt.

Im Unterschied zur IS-TDP findet sich bei Brunner kein Hinweis auf die komplexe Psychodynamik von Trauma und Traumaschmerz und deren Kopplung an reaktive Wut-,  Schuld- und Trauergefühle. Brunner konzentriert sich auf den Antagonismus zwischen mesolimbischem Belohnungssystem (N. accumbens) und der Amygdala mit dem Angstnetzwerk, also auf das Annäherungs- und Vermeidungssystem, und verknüpft damit die Bindungstheorie.

Negative Gefühle werden von Brunner ganz allgemein unter Angst subsumiert, eine Ausdifferenzierung findet nicht statt und entsprechend gibt er zur Bedeutung und zur Lösung der aus IS-TDP Sicht zentralen und pathogenen Schuldgefühle auch keine Therapieempfehlungen.

Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass in der IS-TDP Interventionen zur Deaktivierung von Übertragung und Omnipotenz unverzichtbar sind. Brunner betont zwar, dass es notwendig sei, dem Patienten auch wichtige Entscheidungen zu überlassen, um sein Bedürfnis nach Kontrolle und Selbstwirksamkeit zu berücksichtigen – aber schon diese Formulierung zeigt das Autoritätsgefälle zwischen Therapeut und Patient an. Von partnerschaftlicher Zusammenarbeit und der Betonung der Mitverantwortung des Patienten für den Therapieprozess, also von einer Deaktivierung (Undoing of Transference and Omnipotence) im Sinne von Davanloo ist nicht die Rede.

Insgesamt ist Brunners Schulen übergreifende Darstellung aber durchwegs empfehlenswert, informativ und kurzweilig zu lesen und hat mit knapp 200 Seiten einen Umfang, der auch in der wenigen kostbaren Freizeit noch gut zu bewältigen ist.