Wird der Patient in der IS-TDP aufgefordert, seine aggressiven Gefühle, seine Wut rauszulassen?

Der Patient wird vom Therapeuten  weder aufgefordert noch ermutigt, Gefühle „rauszulassen“. Vielmehr wird er aufgefordert, all seine Gefühle zu entdecken, mit seinen Gefühlen in Kontakt zu treten, sie zu untersuchen und sie zu erleben. Häufig, aber nicht immer, sind es wütende Gefühle, die sich beim Patienten als erstes melden.

Es geht also darum, dass der Patient seine Gefühle kennenlernt und dass er sie im Hier und Jetzt der therapeutischen Beziehung erleben und abfließen lassen kann. Wenn sich im engen therapeutischen Kontakt wütende Gefühle kristallisieren, sind diese auf den Therapeuten gerichtet, der sich als Übertragungsfigur anbietet. Der Therapeut hilft dem Patienten, die neurobiologischen Abfuhrwege der Wut maximal zu aktivieren. Bei maximaler Aktivierung der neurobiologischen Bahnen hebt sich die Fusion von mörderischer kindlicher Wut und von Schuldgefühlen auf, die beiden Gefühle fließen getrennt voneinander ab. Zuerst fließt immer die Wut. Wenige Augenblicke danach, nachdem der Patient erkannt hat, mit welcher Bindungsperson seiner Kindheit die mörderischen Wutgefühle in Zusammenhang stehen, fließen auch die schmerzhaften Schuldgefühle ab.

Aus der Gefühlsforschung wissen wir, dass bei jedem Gefühl eine vegetative Körperaktivierung erfolgt, die einen Handlungsimpuls nach sich zieht. In der IS-TDP erlebt der Patient das gesamte Ausmaß seiner mörderischen kindlichen Wut in Beziehung zum Therapeuten, in einem lebendigen inneren Erleben, „so als ob er es dem Therapeuten gerade antut“. Er hat dabei aber die völlige Kontrolle über seine Handlungsimpulse. Er reagiert die Gefühle nicht ab und er „lässt seine Gefühle auch nicht raus“ (wie dies etwa ein wütender Jugendlicher am Boxsack tut) sondern er erlebt seine kindlich mörderischen Wutgefühle bei maximaler Aktivierung der neurobiologischen Abfuhrwege, „so als ob er es täte“.

Zu Beginn der Therapie können unsere Patienten die erlebten Gefühle oft nicht benennen. Statt ihre Gefühle zu benennen beschreiben sie eine innere Haltung oder Deutung („ich fühle mich verletzt“) oder ihre Handlung („ich knalle die Türe zu“). Was sie eigentlich beschreiben ist die Art und Weise wie sie mit der Wut umgehen, nämlich, dass sie die Wut unterdrücken („ich fühle mich verletzt“) oder abführen/ abdampfen/ rauslassen („ich knalle die Türe zu“).

Ein Patient, der seine Wut als innerlich körperlich erlebtes Geschehen („der innere Film“) in vollem Ausmaß spüren und aushalten kann, verfügt über eine reife Affektsteuerung und über eine ausreichende Ich-Stärke.

Patienten mit geringer Ich-Stärke, z.B. Patienten mit frühen Störungen, haben nicht die Voraussetzung zum Erleben und Aushalten ihrer Wut. Die Voraussetzungen müssen erst einmal geschaffen werden, was eine Modifikation der Therapiemethode erfordert, bei der Restrukturierungsarbeit geleistet werden muss.