Buchrezension von Dr. Irene Ostertag:
„Lives Transformed – A Revolutionary Method of Dynamic Psychotherapy“
David Malan and Patricia Coughlin Della Selva
Karnac 2007, ISBN 978-1-85575-511-6
Wie die Intensive Psychodynamische Kurzzeittherapie „Leben verändert“ wird in diesem über 300 Seiten dicken Buch umfassend dargestellt.
Die zwei Autoren sind:
David Malan, der früher an der Tavistock-Klinik (zu Beginn noch unter der Leitung von Michael Balint) in London arbeitete, sich intensiv mit Kurzzeitpsychotherapie (z.B. „A Study of Brief Psychotherapy, 1963) beschäftigte und früh die Bedeutung der Arbeit von Habib Davanloo erkannte
und
Patricia della Selva, Psychologin, ausgebildet von Davanloo, die zunächst an der Syracuse University, dann an der University of Albany in New York arbeitete und 1996 ein Buch über IS-TDP („Intensive Short-term Dynamic Psychotherapy: Theory and Technique) veröffentlichte.
Das Buch zeigt mit der Falldarstellung von 7 Patienten (davon 4 Beispiele ausführlich), wie mit der IS-TDP gute therapeutische Ergebnisse erreicht werden können.
Die Einleitung zu Beginn des ersten Teils ist von beiden Autoren geschrieben und gibt einen Überblick über die Methode. Beschrieben werden das Konfliktdreieck, das Personendreieck, das „Zwiebelschalenmodell“ des Unbewussten. Besonders hervorgehoben werden der Widerstand gegen emotionale Nähe (mit Parallelen zum „Charakterpanzer“ von REICH), die Bedeutung des strafenden Über-Ichs und als wesentliches Hauptziel der IS-TDP die „Eradikation“ des Selbstbestrafungssystem im Unbewussten.
Der Leser wird mit der Technik vertraut gemacht. Betont werden die Bedeutung des körperlichen Erlebens der Gefühle und die besondere Haltung des Therapeuten. Relativ kurz dargestellt wird die Zentraldynamische Sequenz und wenig ausgeführt werden die spezifischen Interventionstechniken wie Druck , Herausforderung oder Head-on-Collision. Neben dem Erleben der Gefühle mit den drei Komponenten (kognitiv z.B. „Ich bin traurig“, physiologisch z.B. „Ich habe einen Kloß im Hals“ und mit einem Impuls z.B. „Mir ist zum Weinen“) werden die Abfuhrwege der unbewussten Angst (mit einer Tabelle) und einige Abwehrmechanismen (ebenso mit Tabelle) beschrieben. Die Bedeutung der bewussten und unbewussten therapeutischen Allianz wird genannt. Hervorgehoben werden die Komplexizität der Methode und der aufwändige Lernprozess – und dass die audiovisuellen Aufnahmen auch dazu dienen, das Unbewusste des Therapeuten zu restrukturieren.
Als einer der wenigen Hinweise auf die Entwicklung der Technik werden die Erkenntnisse genannt, die DAVANLOO aus der Arbeit von Lindemann über pathologische Trauer gewann und nutzte: Unter dem Einfluss von starken Gefühlen, wie
nach traumatischen Erlebnissen, sind Abwehren geschwächt und Patienten haben einen leichteren Zugang zu Kindheitserinnerungen.
Betont werden die Modifikationen der Technik durch die Autorin (sie arbeitet weniger konfrontativ als DAVANLOO, mit Interpretationen im Gegensatz zu DAVANLOO und mit eigener Wortwahl), die auf den Stil und die Persönlichkeit der Therapeutin zurückgeführt werden – man solle kein Roboter oder Imitator des Meisters werden.
Im letzten Kapitel des ersten Teils werden interessante empirische Befunde zusammengetragen, die die Wirksamkeit der IS-TDP belegen. Was denn therapeutisch überhaupt wirksam sei, fragt die Autorin und stellt Literatur vor. Eine Studie von WEINBERGER 1995 benennt als positive Wirkfaktoren: 1.eine positive therapeutische Allianz 2.dem Patienten zu verhelfen, sich mit dem zu konfrontieren, was er vermeidet 3.Hoffnung zu beleben 4. Kompetenzen des Patienten zu verbessern 5.dem Patienten zu ermöglichen, sich den Erfolg gönnen zu können. All diese Erfolgsfaktoren seien, so die Autorin, in der IS-TDP vorhanden. Studien zur Wirksamkeit von IS-TDP werden zitiert: v.a. die Arbeiten von ABBASS (2002, 2003), der die meisten ( genannt werden 49) kontrollierten Studien über S-TDP (hier fällt auf, dass die Methode S-TDP genannt wird!) vorzuweisen hat. In diesen Studien habe sich auch die große Kosteneinsparung wegen der kürzeren Therapiedauer herausgestellt. In einer Studie von ABBASS (2003)waren mit unterschiedlichen Therapeuten gleichermaßen gute Ergebnisse erzielt worden.
In einer Studie von SHAW (1989) wurde als wirksam definiert, wenn der Therapeut während der Befragung fokussiert und strukturiert ist. Als gute Prognosefaktoren wurden genannt, wenn gegenwärtige Konflikte des Patienten mit ungelösten Konflikten
der Vergangenheit verbunden werden können. Dies ist in der IS-TDP möglich.
Aktiv am Widerstand zu arbeiten erinnert an die Arbeit von REICH (1933), der aktiv und konfrontierend am Widerstand in der Übertragung arbeitete. Die negativen Auswirkungen von Abwehrmechanismen werden belegt: z.B. auf eine Schwächung der Immunabwehr (PENNEBAKER 1991), aber auch auf das Entstehen von Passivität, wenn durch die Abwehren Erfahrungen und Emotionen abgetötet werden.
Kein Psychotherapeut habe mehr Wert gelegt auf das körperliche Erleben von Gefühlen als DAVANLOO.
Neurobiologische Erkenntnisse (erwähnt wird DAMASIO1994) unterstützen die Bedeutung des körperlichen Erlebens der Gefühle und der Bilder, die verknüpft sind über die Verbindung von Amygdala und Neocortex , also der kognitiven und emotionalen Zentren im Gehirn. Ebenso wird MILLER (1996) zitiert: das bewusste Erleben unserer Gefühle befreit und löst die zurück gehaltene Spannung im Körper.
Laut NEBORSKY (2001) zielt die IS-TDP auf die emotionalen Zentren des Gehirns, wo die Erinnerungen an frühe Beziehungstraumata gespeichert sind und durch die Arbeit tiefe Gefühle mobilisiert werden. ABBASS fand heraus: je höher der Level der emotionalen Erfahrung, umso besser das Ergebnis der Therapie. Auch PILIERO(2003) analysierte Therapieverläufe und fand dasselbe Ergebnis: das Erleben der Gefühle in der Sitzung hat eine Schlüsselfunktion
Der zweite Teil besteht aus vier Falldarstellungen mit Verbatimprotokollen und Kommentaren: „Der geteilte Mann“, „Der kaltblütige Geschäftsmann“, „Das gute Mädchen“ und „Die Frau mit Dissoziationen“. Ausführlich wird jeweils über die Erstgespräche und kürzer gefasst über die Katamnese berichtet. Die Erstgespräche wurden von zwei Gutachtern (von Malan und seiner Frau!) gesehen, die eine dynamische Hypothese formulierten und Aussagen trafen über wichtige Gesichtspunkte für die Therapie, mögliche Ziele und Ergebnisse. (Interessanterweise waren zwar viele Voraussagen zutreffend, aber fast immer wurden die unerledigten Schuldgefühle zu selten benannt). Schuldgefühle werden z.B. bei der kurzen Falldarstellung des „Masochistischen Künstler“ gar nicht erwähnt.
Im Therapieverlauf des „Geteilten Mannes“ zeigen sich u.a. unerledigte gemischte Gefühle gegenüber dessen jüngsten Sohns, des Vaters, des Bruders. Der in der 6.Therapiesitzung (von insgesamt 24 Stunden) beschriebene Ärger auf die Therapeutin wird nicht näher ausgeführt. Wut auf die Mutter sei, so die Autorin, nie aufgetaucht. Über die Therapie mit dem „Kaltblütigen Geschäftsmann“ über 58 Stunden berichtet die Autorin über die ausführliche Arbeit an den Abwehren und über die Arbeit an der Vermischung von Wut und Sexualität.
Das Erstgespräch des „Guten Mädchens“, die an einer Colitis ulcerosa litt, war (im Gegensatz zu den übrigen Erstinterviews) unter der Supervision von DAVANLOO erfolgt (ein Hinweis, wann das Interview stattfand fehlt). Ein schrittweise Vorgehen wurde gewählt, unter Kenntnis der Diagnose und nachdem klar geworden war, dass die Patientin keinen Zugang zum Erleben von Ärger hatte und Gedanken für Gefühle hielt.
Der dritte Teil widmet sich der Diskussion. Wenn der neurotische Kernkonflikt besagt, dass es unbewusste Gefühle und Impulse gibt, die verdrängt werden mussten, weil sie inakzeptabel waren und wenn von Psychotherapie erwartet wird, dass diese bewusst gemacht und gelöst werden, dann sei die IS-TDP – wie keine andere Psychotherapieform- in der Lage, v.a. die Wut, aber ebenso die Schuld- und Trauergefühle in bestimmter Abfolge zu mobilisieren. Dies findet statt in einem besonderen (einer Halluzination ähnlichen) Bewusstseinszustand statt, im „Dreaming while awake“ . Die Gefühle werden erlebt und mit dem Therapeuten geteilt und werden häufig mit den Augen des Kindes gesehen.
Bezüglich der Therapieergebnisse berichtet die Autorin: Die positiven Veränderungen gehen nach Therapieende weiter, auffallend seien auch die äußerlichen Veränderungen. Auf die Frage, was geholfen hat, berichten die Patienten von der therapeutischen Beziehung und betonen die Hartnäckigkeit der Therapeutin bei schwierigen Gefühlen zu bleiben. Interessanterweise benennen die Patienten in den Katamnesegesprächen nicht die mörderischen Gefühle, die sie erlebt haben.
Im vierten Teil werden Unterschiede zur Psychoanalyse benannt, insbesondere die fokussierte Aktivität des Therapeuten statt gleichschwebender Aufmerksamkeit, die direkte und wiederholte Frage nach den Gefühlen und die spezifische Arbeit an den Widerständen ohne Interpretation oder Deutung. Und in einer abschließenden „Coda“ werden die wichtigsten Aspekte der IS-TDP nochmals zusammengefasst: Die Frage nach den Gefühlen des Patienten, das Blockieren der Abwehren, der spezifische Umgang mit den Widerständen und dem Patienten zu ermöglichen, seine Gefühle körperlich zu erleben.
Zusammenfassend wünsche ich diesem Buch zahlreiche kritische Leser, v.a. aus den Reihen der IS-TDP Therapeuten. Es stellt die Therapiemethode mit ausführlichen Falldarstellungen dar – leider nicht immer gut durchstrukturiert. Die der Autorin eigene „therapeutische Handschrift“ wird erkennbar.
Ob ihre „Modifikationen“ , insbesondere ihre Neigung zu Interpretationen und ihr weniger konfrontatives Vorgehen, ihrer Persönlichkeit zuzuschreiben sind oder ihrem Können bleibt offen. Hier wäre vielleicht mehr Selbstkritik zu erwarten. Dass in ihrer Arbeit das Erleben der Schuldgefühle seiner eigentlichen Bedeutung gemäß zu wenig Erwähnung findet, scheint charakteristisch und ist diskussionswürdig. Den Versuch, in Studien und im Literaturvergleich die Wirksamkeit der IS-TDP zu belegen, halte ich für einen wichtigen Ansatz, der weitere Forschung wünschenswert macht.